SZ: 29. August 2024, 17:32 Uhr
Vereinigtes Königreich: Was soll die britische Finanzministerin mit einem Urinal?
Von Martin Wittmann, London
Rachel Reeves ist die erste Frau an der Spitze des Ministeriums – und wollte ein
paar bauliche Veränderungen in ihrem Büro vornehmen lassen. Ein unmögliches Vorhaben.Die neue Labour-Regierung hat in diesen Tagen alte Sorgen. Überall gilt es, das schwierige Erbe der Tories zu verwalten. Premierminister Keir Starmer ist nach Deutschland und Frankreich geflogen, um die verstimmte Welt auf herzlichere Zeiten einzustimmen; Finanzministerin Rachel Reeves ist durchs Königreich gereist, um die klamme Heimat auf härtere Zeiten vorzubereiten. Den internationalen Folgen eines Brexit zu begegnen und eine nationale Wirtschaftskrise zu bewältigen, sind gewiss keine mickrigen Herausforderungen. Aber wenn am Montag das Parlament nach der Sommerpause wieder zusammenkommt und in London der reguläre Betrieb an-
läuft, wartet dort ein schier unlösbares Problem. Es geht um die mittlerweile populäre Frage nach der Toilette im Finanzministerium.Rachel Reeves, die erste Frau an der Spitze in der Jahrhunderte währenden Geschichte des Ministeriums, sieht sich im Klo ihres Büros mit einem Urinal konfrontiert. Zwar ist es inzwischen von einer Glasscheibe abgedeckt, aber es ist immer noch da, weißes Porzellan, umrahmt von schwarzen Fliesen. Und das, obwohl Reeves schon vor den Wahlen Anfang Juli im Magazin The Spectator ihren Unmut darüber ausgedrückt hat und ankündigte, sie werde im Fall eines Sieges „Glasdecken und Urinale zerschlagen“.
Eigentlich hätte sich die ausgehende Sommerpause für derartige Pläne angeboten, die politisch ruhige Zeit wird im Regierungsviertel gern dafür genutzt, die ehrwürdigen Gebäude zu renovieren. Aber die Grenzen, was an solchen Bauten zu verändern erlaubt ist, sind eng im Vereinigten Königreich, in diesem Fall wohl zu eng.
Eine Toilette „von historischer Bedeutung“ Die Financial Times hat in den vergangenen Wochen seriös im Finanzministerium zur Sache recherchiert (so seriös, dass sie ein internes Memo, das sie einsehen hat können, nicht Klopapier genannt hat). Demnach habe das von offizieller Seite um Rat gebetene Architekturbüro Feilden+Mawson darauf hingewiesen, dass das Urinal zum einzigen noch bestehenden Badezimmer
aus den frühen Jahren des GOGGS (Government Offices Great George Street) gehöre. Der Gebäudekomplex wurde Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet, das betreffende Klo sei „von historischer Bedeutung“, warnt das Architekturbüro. Schließlich sei das Urinal wohl schon von Winston Churchill genutzt worden. Der konservative Politiker war von 1924 bis 1929 Finanzminister und während seiner Amtszeit mutmaßlich auf der Toilette.Weil es somit unwahrscheinlich ist, überhaupt eine Erlaubnis für die Entfernung des Urinals zu bekommen, soll Reeves ihre Abrisspläne vorerst aufgegeben haben. Auch will sie darauf verzichten, das Porzellan baulich zu überdecken, weil allein die Beantragung mindestens 18 Wochen dauern und um die 8000 britische Pfund kosten würde. Sie werde dafür nicht das Geld der Steuerzahler verschwenden, heißt es aus dem Ministerium. Da sehe man mal, wie es um das gegenwärtige Planungssystem im Königreich stehe. Das Büro gilt trotz der Widrigkeit als benutzbar. Zumindest informiert der Independent seine Leser darüber, dass sich in den Räumlichkeiten der Finanzministerin auch eine Toilette befinde ,auf der sie sitzen könne“.