Quelle: FAZ vom 26.10.2023
400.000 GASTHERMEN MÜSSEN WEG: In Wien wandert die Heizung vom Keller auf den Dachboden
- VON ANDREAS MIHM
- -AKTUALISIERT AM 25.10.2023-19:31
Eine Heizungswende soll helfen, fossile Energien in Österreich bis 2040 auszusteuern. In Wiener Häusern wandert die Heizung nun vom Keller auf den Dachboden.
Österreichs Hauptstadt Wien will bis 2040 klimaneutral sein. Die das Klima schädigenden CO2-Emissionen sollen gesenkt, fossile Energieträger durch erneuerbare ersetzt werden. So bekommt das denkmalgeschützte Ernst-Happel-Fußballstadion Photovoltaikzellen aufs Dach, in Großkläranlagen wird dem Abwasser Wärme für die Fernheizung entzogen, Heißwasser wird aus mehrere Tausend Meter tiefen Schichten unter der Stadt angezapft, Mieter von Wiener Wohnen, der kommunalen Hausverwaltung mit 220.000 Wohnungen, bekommen kostenfrei Sonnenjalousien für ihre Südfenster, mehr Stadtgrün sorgt für Kühlung an heißen Sommertagen.
Andreas Januskovecz hat viele solcher Beispiele auf Lager. Der langjährige Forstdirektor ist auch Wiens oberster Klimaschützer. Hoch oben im Rathaus hat er sein Büro – auf Augenhöhe mit den großen Magistratsabteilungen. Von dort hat Januskovecz die Stadt im Blick. Er sagt: „Die Klimafragen werden in den urbanen Zentren entschieden.“ In Österreich sowieso, dort lebt knapp jeder vierte Einwohner in der zwei Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt.
Für die hat sich die Stadtregierung klimapolitisch einiges vorgenommen. Unter anderem sollen Gasthermen bis 2040 abgeschaltet werden. Das Problem allein ist die Menge: 400.000 Brenner versorgen mehr als 600.000 Wiener Wohnungen und Ladenlokale.
Finanzstadtrat Peter Hanke veranschlagt die Umbaukosten auf 30 Milliarden Euro. Einen Teil davon übernimmt die Bundesregierung. Die will dem seit 2020 geltenden Einbauverbot von Kohle- und Ölheizungen bei Neubauten das für Gasthermen folgen lassen. Die Umrüstung auf klimafreundlichere Varianten im Bestand soll ab Januar 2024 mit bis zu 75 Prozent der Kosten gefördert werden.
Nicht für jede Wohnung eine Gastherme
So lange wollte Ernst Bach nicht warten. Der Vorstandschef der Sozialbau AG, die mehrere gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften vereint, verwaltet 54.000 Wohnungen in Wien, davon 46.000 Mietwohnungen. Knapp 50 davon hat er seit 2015 umgestellt.
Das hatte anfangs nichts mit Dekarbonisierung zu tun. Vielmehr wurden die Vermieter für das Warmwasser zuständig. Bach fragte sich: Wenn eine Therme fünf Wohnungen heizen kann, warum hängt dann eine in jeder Wohnung? Teuer und ineffizient sei das, sagt er und machte sich an die Arbeit.
Das Ergebnis zeigt er Besuchern in einem gesichtslosen Nachkriegsbau, 21 Wohnungen auf sechs Geschossen, in der Miesbachgasse 10. Vom Obergeschoss aus führt eine steile Stahltreppe auf den Dachboden, denn dort steht die Heizanlage und nicht, wie üblich, im Keller.
Wenn nicht mehr jede Wohnung eine eigene Therme hat, so muss sie doch mit Heizwasser versorgt werden, mit Vor- und Rücklaufleitungen zu den Heizkörpern, am besten Konvektoren, die mit einer geringen Vorlauftemperatur zurechtkommen. Die Kaminschächte, die nach dem Abhängen der Thermen überflüssig sind, eignen sich dafür bestens. Doch nicht alle reichen bis in den Keller, wohl aber aufs Dach. So kam die Heizanlage in der Miesbachgasse 10 auf den Dachboden.
Für Bach war das eine Initialzündung für eine Zentralisierung der Heizungen. „Wir verfügen jetzt über unser Handwerkszeug, dafür haben wir fünf Jahre gebraucht. Wir wissen, wie viel was kostet“, zählt er auf, und er ist sicher: „Wir werden es schaffen, jeden Mieter bis 2030 fossilfrei wohnen zu lassen.“ Das wäre zehn Jahre vor dem amtlichen Zieldatum.
Überschüssiger Photovoltaikstrom für Mieter gratis
Inzwischen ist die Gastherme längst abgeklemmt; eine Luftwärmepumpe auf dem Dachboden übernimmt die Wassererwärmung, der Strom dazu kommt von den frisch aufs Dach gelegten Solarpaneelen. Die versorgen auch die Warmwasserboiler, die Bach den Mietern einbauen ließ, nachdem die Gasthermen weg waren. Den überschüssigen Photovoltaikstrom schenke die Genossenschaft ihren Mietern, so „bekommen sie einen Teil des Energieaufwands für das Warmwasser gratis“. Da wundert nicht, dass das Projekt unter Mietern begehrt ist. In der Miesbachgasse 10 haben sie schon einen Anschlussstopp verhängt.
Der soll aber nicht lange dauern. Im nächsten Schritt soll eine Erdwärmesonde im Hof niedergebracht werden, auch das wenige Meter tiefe Grundwasser soll für den Wärmetausch genutzt werden: im Winter heizen, im Sommer auf 20 Grad kühlen. Die Eigentümer benachbarter Miethäuser machen auch mit. Und die Kosten? „Wir sind Kaufleute und müssen rechnen“, sagt der Vorsitzende des Wohnungsbauunternehmens mit 363 Millionen Euro Jahresumsatz. Bach sagt: „Ich komme aus mit dem Geld.“
Das gelte selbst für stark modernisierungsbedürftige, heruntergekommene Gebäude, staatliche Förderungen und die Mittel aus den Erhaltungsabgaben der Mieter eingeschlossen. Für die werde es unter dem Strich nicht teurer, sagt Bach, der viel von Wärmepumpen hält, auch Fernwärme gegenüber aufgeschlossen ist. „Da verkämpfe ich mich nicht.“
Inzwischen habe er ein paar Hundert Häuser von innen gesehen. In jedem zweiten könne man das Heizen per Wärmepumpe zentralisieren. „Das geht ganz locker.“ In weiteren 25 bis 30 Prozent benötige man vermutlich weitere Fördermittel, die die Regierung jetzt in Aussicht stellt, und beim Rest brauche man wohl ganz andere Ansätze.
Photovoltaikanlagen auf 2400 Hausdächern
So wie in jenem fünfgeschossigen Mietshaus, dessen Fassade sie 2021 aufgefräst und mit Schläuchen ausgekleidet haben, bevor alles zugespachtelt und mit Wärmedämmung versehen wurde. Die Wandheizung wird von einer Erdsonde mit Warmwasser versorgt. „Durch die Schläuche schicken wir im Sommer 20 Grad kaltes Wasser zur Kühlung und im Winter 30 bis 35 Grad warmes Heizwasser“, berichtet Bach. Das ersetze die klassische Heizung nicht, doch komme die mit einer niedrigeren Vorlauftemperatur aus, was bis zu einem Viertel der Kosten spare.
In diesem Frühjahr hat Sozialbau begonnen, auf 2400 Hausdächer Photovoltaikanlagen zu setzen. „8000 Mieter werden noch in diesem Jahr weniger für ihren Strom bezahlen müssen.“ Vier Megawatt Leistung sollen es in diesem Jahr werden, im Endausbau 13 Megawatt. Das wäre fast so viel, wie die Stadt Wien in einem Jahr ausbauen will.
Das hört Andreas Januskovecz im Rathaus gern. So wird ihm auch nicht bange vor der großen Aufgabe, die Metropole klimafit zu machen. „Es hat Tradition in dieser Stadt, Dinge visionär zu sehen und dranzubleiben“, sagt er. So wie Mitte des 19. Jahrhunderts der Gemeinderat beschlossen hatte, eine 95 Kilometer lange Trinkwasserleitung ins Gebirge zu bauen, um die Stadt mit sauberem Trinkwasser zu versorgen.
Vor 150 Jahren, am 24. Oktober 1873, wurde die Kaiser-Franz-Josef-Hochquellenleitung aus dem Rax-Gebirge eröffnet. Das viel gepriesene Trinkwasser fließt noch heute nach Wien. Dank des Gefälles produziert es sogar grünen Strom: Turbinen erzeugen Elektrizität für Zehntausende Österreicher.
Es hat Tradition in dieser Stadt, Dinge visionär zu sehen und dranzubleiben